Atelier Gassner. Visuelle Geschichten - Zwischen Konzept und Poesie
Bücher über Grafikdesignbüros gibt es viele. Meist sind es Bilderbücher mit eilig verfassten Vorwörtern prominenter Fürsprecher, gefolgt von bisweilen bemüht wirkenden Einleitungen, ehe dann Bildsequenzen das Buch bis zum fernen Ende mit visueller Opulenz versehen. Viele Bilder, wenig Inhalt.
Bei dem Buch „Atelier Gassner. Visuelle Geschichten“ ist das anders. Von der ersten Seite weg begegnen einem Ruhe und eine sympathische Form zurückhaltender, kultivierter Eleganz, wie sie auch den meisten Arbeiten selbst, die der Leser auf den folgenden Seiten näher kennenlernt, zu eigen ist.
1976, nach seiner Ausbildung zum Reprofotografen und „Erzeuger von Druckträgern“, hat Reinhard Gassner in Feldkirch sein eigenes Gestaltungsbüro gegründet, seit 1987 ist es in Schlins beheimatet. Ab 1999 als Mitarbeiterin tätig, ist seine Tochter Andrea Gassner seit 2010 Teilhaberin des Ateliers. Die in dem Buch vorgestellten Projekte aus den zurückliegenden 20 Jahren wurden großteils gemeinsam erarbeitetet, wobei unter „gemeinsam“ zumeist auch andere mitzudenken sind: Darunter Martin Rauch (ein über die Fachgrenzen hinaus bekannter Pionier im Bereich Lehmbau), Alberto Alessi (Architekt, Lehrer und Kurator) oder der Architekturkritiker Otto Kapfinger (dessen zu „Klassikern“ gewordenen Architekturführer von Anfang an vom Atelier Gassner grafisch ausgestattet wurden); weiters Roland Jörg, Germanist und Historiker und seit 2001 Leiter der Abteilung Kultur und Weiterbildung der Stadt Dornbirn, der gemeinsam mit dem in Österreich leider viel zu wenig bekannten, in der Schweiz tätigen und 2004 verstorbenen Grafiker Reinhard Morscher und Reinhard Gassner selbst ein wunderbares „Trio für Namensfindung“ bildete (aus ihrem Gedankenspielfundus stammt etwa der heutige Name des ehemaligen Architekturforums Tirol, „aut. architektur und tirol“); dazu gehört auch der von Reinhard Gassner geschätzte und in seiner Arbeitsweise nicht ganz weit entfernt stehende Kollege aus Wien, Walter Bohatsch, auch er einer der renommierten Gestalterpersönlichkeiten des Landes.
(c) Atelier Gassner(c) Atelier Gassner
Wer Reinhard und Andrea Gassner ein wenig näher kennt und ihren jederzeit hochgehaltenen Anspruch, Gestaltungsarbeit als offene Kulturarbeit zu begreifen, die die Auftraggeber ebenso wie Menschen aus unterschiedlichsten Fachbereichen in den Gestaltungsprozess miteinbezieht, für den ist es nicht überraschend, dass sie auch in ihrem eigenen Atelierarbeitsbericht dieser Philosophie treu bleiben: Folgerichtig wurden die erwähnten Weggefährten eingeladen, kurze Essays beizusteuern, die, im Buch zwischen die Projekte verstreut, einen besonderen Blick auf die Arbeitsweise des Büros ermöglichen: Sie illustrieren den „beispielhaften Mikrokosmos“, der das Atelier umgibt und von dem Otto Kapfinger in seinem lesenswerten Beitrag spricht.
In den Arbeiten aus dem Atelier Gassner geht es nie „nur“ um eine nachträglich verabreichte, schöne, perfekt ausgeführte Grafik. Gestaltung beginnt mit der Klärung der Inhalte: Erst wenn die Sache selbst und die inhaltlichen Absichten erkennbar werden und sich gedanklich und sprachlich verdichten, formen sich sprichwörtlich auch mögliche gestalterische Zugänge. „Das Ziel ihrer Arbeit ist die Vermittlung eines Wertes und nicht die Vermittlung formaler Resultate“ – dieser Satz von Alberto Alessi charakterisiert wie ein programmatischer Leitspruch die Arbeitsweise des Ateliers. Sichtbar wird dieser in allen im Buch vorgestellten Projekten, hier seien zur zwei hervorgehoben: Die für Otto Kapfinger gestalteten Architekturführer sowie die Fachzeitschrift zuschnitt für proHolz Austria. Ist es bei den Architekturführern der schwierige Versuch, auf engstem Raum Bilder, Planzeichnungen und Texte zu einem kompakten und alltagstauglichen Nachschlagewerk zu verdichten, das nun schon seit bald 20 Jahren zum festen Inventar für an Baukultur in Österreich interessierte Menschen zählt, so widmet sich jede der inzwischen mehr als 60 Ausgaben von zuschnitt in beeindruckender inhaltlicher Tiefe und in ebenso beeindruckender ästhetischer Qualität jeweils einem Hauptthema.
(c) Atelier Gassner(c) Atelier Gassner
Am Beispiel von zuschnitt wird auch deutlich, was den (für das Atelier Gassner wohl grundlegenden) Unterschied zwischen Werbung und Kommunikation ausmacht: Während Firmenzeitschriften Sonderzahl in ermüdender Oberflächlichkeit ihre Werbeabsicht hinter dem gerade hochmodernen Begriff „Storytelling“ verschleiern, macht diese rund um das Thema eines zeitgemäßen Umgangs mit Holz aus jedem Leser und Betrachter einen „Sachkundigen“ – sei man darin zuvor auch noch so unbewandert. In einem umfassenden Sinn geht es hier primär um die Vermittlung „kultureller Bildung“ – und erst sekundär um eine schöne, grafisch ansprechende Zeitschrift.
Dieses „sekundär“ mag eigenartig klingen für die Beschreibung eines der bedeutendsten und vielfach ausgezeichneten heimischen Gestaltungsbüros. Aber genau darin liegt die (fast) immer subtile visuelle Sprache des Ateliers begründet. Eben weil es primär um Inhalte geht, braucht es kaum dekorative grafische Inszenierungen. So darf eine Tabelle eine Tabelle bleiben – dabei natürlich bis ins Detail sauber durchgestaltet; Buchseiten dürfen Buchseiten bleiben – und zwar solche, die die passenden Schriften, Texte und Bilder in sorgfältig gewählten Größen und in einer zeitgemäßen Verbindung asymmetrischer und klassischer Gestaltungsschemata zu einem gut gestalteten Ganzen zusammenfügt; Weißräume dürfen Weißräume bleiben – weil es auch auf der Welt nicht nur bebautes Land und einen Überfluss an Dingen gibt, sondern nach wie vor viel Raum dazwischen (und seltsam – manchmal wirken die Weißräume in den Büchern des Ateliers Gassner tatsächlich wie Ebenen, Wasserflächen oder meinetwegen auch die leeren Ränge von Fußballstadien – wie Räume jedenfalls, in denen der Mensch für einen Moment nichts verloren hat); und schließlich, als letzter beispielhafter Moment: Bilder dürfen Bilder bleiben – und zwar solche, die nach Abzug des heute unbedingten Bedürfnisses, „alles“ zeigen zu wollen, am Ende eines intensiven Auswahlprozesses tatsächlich als Bilder übrig bleiben.
Schrift, Raum, Material – auf die gestaltete Beziehung dieser drei Momente lässt sich das, was im Atelier Gassner unter Gestaltung verstanden werden kann, reduzieren. Deutlich dabei der Einfluss ebenso unterschiedlicher wie doch miteinander verbundener grafischer Stilrichtungen der benachbarten Schweiz: Die systematische Strenge und Askese der „Zürcher“ ist ebenso spürbar wie die freien typografischen Inszenierungen aus Basel, vor allem aber kann die zwischen allen gestalterischen Dogmen vermittelnde Haltung in St. Gallen als Referenzpunkt angeführt werden, und alleine vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass Andrea Gassner an der dortigen Schule für Gestaltung ihre grundlegende Ausbildung zur Gestalterin erfahren hat. Der genaue Umgang mit Mikro- und Makrotypografie – von der stilsicheren Auswahl der Schrifttypen über die liebevolle Gestaltung grafischer Details bis hin zur wohlproportionierten Anordnung der Inhalte auf der Fläche – erzählen unüberhörbar jene typografischen „Geschichten“ weiter, die der an dieser Schule lehrende, aus St. Gallen stammende Typograf und Gestalter Jost Hochuli anregte.
Obwohl im Atelierbericht nur „analoge“ Projekte aus den Bereichen Ausstellungs-, Buch- und Fassadengestaltung sowie Signaletik vorgestellt werden, schwingt gerade deswegen unweigerlich auch die Frage mit, was diese Formen gestalterischer Arbeit heute in einem überwiegend von digitalen Medien beherrschten Kommunikationsumfeld noch an Relevanz entwickeln können. Explizit angesprochen wird dieses Thema von Reinhard Gassner in seinem Vorwort, und auch in einem Interview zu diesem Buch ist diese Grundfrage in der für ihn offenkundigen Prägnanz deutlich zu vernehmen. Dass diese Fragestellungen vor allem vom Bürogründer zur Sprache gebracht werden, illustriert auf seine Weise, wie prägend diese Veränderung vor allem für jene Menschen zu sein scheint, die diesen radikalen Umbruch von analog zu digital als existenziellen Teil ihrer eigenen Biografie erleben. Reinhard Gassner (Jahrgang 1950), der in den Jahren 1996–2000 am damals neu eingerichtenen Studiengang Intermedia der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn intensiv involviert war, registriert aufmerksam die tiefgreifende Umgestaltung der Kommunikation durch die allgegenwärtige Nutzung digitaler Medien, benennt aber auch die Defizite jener Formen der Informationsverbreitung, denen es weniger um inhaltliche Relevanz geht als um „Nutzerprofile“, „share it“ und „likes“. Solcherart in großem Maßstab betriebene Dekontextualisierung von Information kann durch eine anspruchsvolle visuelle Kommunikation begegnet werden, die ihre Botschaften und visuellen Ausdrucksformen in den Dienst von Orientierung, Vertrauen und Qualität stellt. Und gerade hier kommt den klassischen Medien wie Zeitschrift, Buch und Ausstellung in ihrem Anspruch auf vertiefende, verbindliche Wissensvermittlung nach wie vor ein hoher und unverzichtbarer Stellenwert zu. – Diese Diagnose Gassners, die von einer störrischen, altklugen Verweigerung gegenüber den gegenwärtigen Komunikationstechniken weit entfernt ist, deckt sich mit zahlreichen aktuellen Beiträgen aus Medienphilosophie und Kulturkritik, aber im Unterschied zu diesen zumeist theoretischen Abhandlungen zeigt dieses Buch anhand konkreter Projekte, worin die Bedeutung „klassischer“ Vermittlungsformen auch heute noch (und wieder!) bestehen könnte. Das vorliegende Buch ist insofern selbst der sprechendste Beleg für das darin unübersehbar formulierte Plädoyer für das Analoge: Die Materialität, haptische Präsenz und Räumlichkeit eines gedruckten Buchs oder einer Ausstellung sind grundlegende, auch in epistemologischer Hinsicht bemerkenswerte Gegensätze zur Flüchtigkeit digitaler Informationsvermittlung.
Die von Reinhard und Andrea Gassner getrennt (und doch gemeinsam) verfassten Kurztexte zu den vorgestellten Projekten geben eine der (zumindest in Österreich) sehr seltenen Gelegenheiten, einen tiefen Einblick in die Prozesse und Gedanken eines Gestaltungsbüros zu gewinnen. Sie belegen, wie eng ästhetische und inhaltliche Ebenen in der Gestaltungsarbeit des Ateliers zusammenspielen. Gelegentlich wird daraus vielleicht ein wenig zu viel „Konzept“ und es stellt sich ein leiser Überdruss ein, der vielleicht auch dem Umstand geschuldet ist, als heute zu oft ohne tieferen Grund von „Konzepten“ die Rede ist und man dieses strapazierte Wort, bei dem am Ende manchmal eher schwer nachvollziehbare Floskeln übrig bleiben als gestalterisch nachvollziehbare Substanz, nicht mehr vorbehaltlos teilen kann. – Zur Floskel wird der Begriff „Konzept“ im Atelier Gassner freilich nie, aber manchmal ist es vielleicht etwas zu viel des Guten. Ein Beispiel dafür ist die Glasgrafik am Bregenzer Hafen: Wer – wie der Autor dieser Zeilen – beim ersten Mal nicht weiß, dass die weißen und schwarzen Dreiecke einen abstrakten binären Code darstellen, der in seiner formalen Ausprägung die Keilschrift zitiert und der darüber hinaus ein verschlüsseltes Textband wiedergibt (ein Textauszug: „…vergleichbar dem phänomen, wenn die spiegelnde fläche des sees, flüchtig bewegt durch wind und wellen, dieses faszinierende, das auge meditativ fesselnde und zugleich entspannende flimmern erhält.“), der kann darin – unwissend, wie er nun mal ist – auch nur einen grafisch raffiniert arrangierten Anlaufschutz aus weißen und schwarzen Segeln erkennen – und das ganz ohne schlechtes Gewissen auch gut und schön finden. Ähnlich zu hinterfragen sind vielleicht auch manche Konzepte für Umschlaggestaltungen von Buchprojekten des Ateliers, deren Materialwahl nicht immer den erhofften inhaltlich-ästhetischen Mehrwert bringt: Hier verflüchtigt sich der Effekt manchmal schneller, als es einem dauerhaft praktikablen Umschlag zuträglich ist. – Das wäre schließlich die einzige kleine, kritische Anmerkung, die man gegenüber einigen wenigen im Buch vorgestellten Projekten vorbringen könnte: Grafikdesign braucht kein konzeptuelles Mysterium zu werden, um Botschaften zu vermitteln. – Oder, wie es Otl Aicher nicht müde wurde zu formulieren: Grafikdesign ist nicht Kunst (und braucht es auch nicht zu sein).
Die besten unter den allesamt herausragenden Arbeiten des Atelier Gassner finden sich deshalb gerade dort, wo aus basalen grafischen Elementen wie Punkt, Linie und Schrift visuell eindrucksvoll choreografierte visuelle Räume entstehen und darin ein offenes, konkretes Zusammenspiel zwischen grafischen Elementen auf den Weg gebracht wird, das sich erst im Auge des Betrachters vollendet. Hier werden auf zumeist unspektakuläre Art und Weise visuelle Botschaften formuliert, die Inhalte in eine – so möchte ich das nennen – ganz spezielle Form grafisch-visueller Poesie übersetzen: hochpräzise, bestens lesbar und einfach – schön. Viel mehr kann man von Grafikdesign der Gegenwart eigentlich nicht verlangen. Im Atelier Gassner wird dieser Anspruch seit über 40 Jahren beispielhaft vorgelebt, längst wurde deshalb aus den „Visuellen Geschichten“ des Buchs die ganz und gar bemerkenswerte „Visuelle Geschichte“ eines Gestaltungsbüros, das in Österreich seinesgleichen sucht.
Kurt Höretzeder, im September 2017
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