Warum wir die großen Fragen angehen müssen und dabei mit der Wissenschaft zusammenarbeiten sollten.
Mit Elisabeth Kopf setzen wir unsere Gesprächreihe mit Menschen fort, die sich dem Begriff Design offen und interdisziplinär nähern.
Die gebürtige Vorarlbergerin Elisabeth Kopf ist Projekt- und Kommunikationsdesignerin in Wien und beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit Biomimicry, einem Design-Ansatz, der die Prozesse und Prinzipien der Natur als Vorbild für nachhaltiges Design und Innovation betrachtet. Was sie dabei gelernt hat: die Naturwissenschaften bergen ungeahnte Schätze für GestalterInnen, wir müssen positive Vermittlungsarbeit leisten und dürfen keine Angst vor radikalen Veränderungen haben.
Interview: Nicola Weber
Du beschäftigst dich in deiner Arbeit mit Aspekten des Design, die weit über Ästhetik und formale Kriterien hinausgehen. Was ist für dich gutes Design?
Das ist eine große Frage. Eine Antwort aus meinem aktuellen Schwerpunktthema heraus wäre: Gutes Design, also intelligentes Design ist für mich, wenn bei der Entwicklung und beim Design bereits der gesamte Lebens-zyklus von Produkten geplant wird und wenn garantiert ist, dass die nächsten Generationen nicht belastet werden. Das beginnt mit der Frage, welche Rohstoffe benötigt werden und wie diese gewonnen werden, und geht hin zu Fragen nach der Dauer des Gebrauchs und den Möglichkeiten von Reparatur und von Mehrfachnutzung. Und schließlich ist es auch die Aufgabe des Designs, dass nach Ablauf der Lebensdauer die Produkte wieder zerlegt werden können und dass alle Rohstoffe entweder biologisch abbaubar sind oder in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Wir Designer und Designerinnen geben ja mitunter auch vor, was hip und cool ist und haben gerade auch deshalb in der Hinsicht eine große Verantwortung.
Wir dürfen also Produkte die wir entwerfen, gestalten und produzieren nicht ohne die Voraussetzungen und Bedingungen der Natur denken? Auch schon im Designprozess.
So ist es! Die Verbindung von Natur und Design geht aber noch viel weiter, das habe ich in den letzten Jahren verstehen gelernt. Die Natur hat für praktisch alle Anforde-rungen und Probleme fantastische Lösungen parat, die man nur erkennen und übersetzen muss. Das ist das Prinzip der Biomimicry, also des „Nachahmens der Natur“. Das hat nichts mit "Zurück zur Natur" zu tun, das ist Wissenschaft, ist High-Tech und Fortschritt auf höchstem Niveau. Wenn man erst einmal kennengelernt hat, wie viel besser die Lösungen der Natur sind als die meisten herkömmlichen Praktiken, dann will kein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch zurück zu dem alten Glumpert. Die Beispiele sind einfach zu gut.
Wer hat die Forschungsmethode der Biomimicry entwickelt und was besagt sie genau?
Die Biomimicry wurde von den zwei ameri-kanischen Biologinnen Janine Benyus und Dayna Baumeister entwickelt. Sie haben gemeinsam mit etwa hundert Wissenschaft-lerInnen die 26 Prinzipien der Natur definiert, welche die evolutionär erfolgreichen Muster und Strategien des Lebens beschreiben. Und gemeinsam mit DesignerInnen, Architekt- Innen, Ingenieuren und anderen haben sie dann den Biomimicry-Designansatz entwickelt. Die 26 Prinzipien bieten dabei eine Art Anleitung für den Designprozess. Diese Methode lässt sich aber nicht nur für Design-Aufgaben anwenden, sondern auch für komplexe, systemische Prozesse unserer Gesellschaft. Für Wirtschaftssysteme, Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens usw. Die Prinzipien beschreiben im Grunde, was das Lebendige ausmacht und die zentrale Frage des Natur-inspirierten Designs ist immer: wie macht es die Natur? Diese auf der Wissenschaft basierende Design-Methode wird inzwischen weltweit angewendet und auch gelehrt, daher gibt es auch schon super schöne Beispiele, was dabei herauskommt, wenn man so arbeitet. Kennengelernt hab ich das alles durch Regina Rowland. Sie ist eine gebürtige Österreicherin und ehemalige Grafikdesignerin, die die letzten 30 Jahre in den USA gelebt hat, wo sie eine steile Karriere im Bereich systemisches Design, Naturinspi-rierte Innovation und Nachhaltigkeit gemacht hat. Heute ist sie unter anderem eine trainierte Biomimicry-Expertin und -Lehrerin. Soweit ich weiß die einzige in Österreich.
Es geht also ganz wesentlich um die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Lässt sich die Kreativbranche da bisher noch einen ungeahnten Informati-onspool entgehen und wie kann das Zusammenspiel konkret ausschauen?
Wir müssen kapieren, dass wir als Designer und Designerinnen keine Soloshow darstellen! Gerade die Naturwissenschaften sind eine unglaublich wertvolle Quelle und die Forscher selbst wissen oft gar nicht was sie alles wissen. Die gehen mit ihren Erkenntnissen – sagen wir den sagenhaften statischen Eigenschaften eines Baumes oder der Farberzeugung durch die Lichtbrechung in den mikroskopisch kleinen Prismen von bestimmten Käferpanzern – auch nicht zum nächsten Designbüro und erklären das dort voller Begeisterung. Sie denken meistens gar nicht über eine sinnvolle Verwertung ihres Wissens im Bereich des Designs nach und haben oft auch keinen Bezug zu diesem aus ihrer Sicht vielleicht ästhetisch-oberfläch-lichen Betätigungsfeld. Wir arbeiten also mit Naturwissenschaftlern im Designteam zusammen, diese nennen wir „scientists-at-the-design table“. Wir Designer haben dabei die Rolle der Übersetzer, wir schlagen die Brücke von der Wissenschaft zum Design und zur Produktion und machen so das Wissen im Alltag anwendbar.
Kannst du Beispiele für diese die Natur imitierende Methode nennen?
In der Ausstellung „Alphabet des Lebens“ im Sommer 2018 im Werkraum Bregenzerwald haben wir das in sehr vielen Facetten anschaulich gemacht. In der Natur geht es immer um die Balance zwischen Veränderung und Stabilisierung, genau wie wir es von unserem eigenen Leben kennen. Bei Veränderung denke ich zum Beispiel an das Prinzip „Evolution als Überlebensstrategie“, das beschreibt, dass in jedem Entwick-lungsprozess immer wieder total radikale Veränderungen stattfinden und nötig sind. Denken wir dabei an aktuelle Klimaentwick-lungen – wir müssen die Ökonomie revolu-tionieren (besser gesagt: evolvieren), sonst wird eine ungewollte, radikale Veränderung in der Ökologie stattfinden. Zum Thema Stabilisierung fallen mir die Naturprinzipien „Anpassung an Veränderungen“, „Kooperative Beziehungen kultivieren“ oder „Ressourcen- effizienz“ ein. Oder auch das Kreislaufprinzip der Natur, das perfekte Zusammenspiel aller Elemente in biologischen Systemen. Was für ein Lebewesen Dreck oder Abfall ist, ist für das andere seine Nahrung. — Noch anschaulicher wird es, wenn man konkrete naturinspirierte Innovationen betrachtet. Ein großer internationaler Plastikflaschenpro-duzent hat beispielsweise mit einem Biomi-micry-Designer zusammenarbeitet, der von einem lianenartig gewundenen Baumstamm abgeschaut hat, auf welche Weise die Flaschenform verschlungen und gedreht werden muss, damit für die gleiche Stabilität 25% Material eingespart werden kann. Das wirkt sich in der Menge schon enorm aus und ist zumindest eine Zwischenlösung bevor das Plastik ganz vermieden werden kann. Aber man kann sich nicht nur Formen abschauen, sondern auch Prozesse und Systeme. Ein gutes Beispiel für das systemische Naturprinzip „Kooperative Beziehungen kultivieren“ ist die Handwerkervereinigung im Bregenzerwald, die lokal zusammenar-beitet, sich international vernetzt, einen gesunden Wettbewerb untereinander pflegt und unbedingt darauf achtet, dass alle davon profitieren. Das alles klingt ja eigentlich nach Hausverstand, wird aber im breiten Design-diskurs noch erstaunlich wenig angewendet.
Das klingt nach einem sehr optimistischen Zugang zu den doch recht brennenden Problemen von heute.
Ich glaube, es kann nur mit positiver Anregung und mit Inspiration funktio-nieren! Wir müssen Beispiele zeigen wie es funktionieren kann, anstatt immer nur zu jammern und zu warnen, wie nah wir schon am Abgrund stehen. Als Designer sind wir gefordert nachzudenken, was und wie wir entwerfen, was wir kommunizieren und welchen Themen wir mit unserer Arbeit zu Aufmerksamkeit verhelfen. Und dabei sollten wir auf Kooperationen setzen und eben nicht eine Soloshow durchziehen.
Die Abbildungen stammen aus der Ausstellung "Alphabeth des Lebens" die 2018 im Werkraum Bregenzerwald gezeigt und von Elisabeth Kopf kuratiert wurde.
Bildnachweis: 1 Foto Johannes Fink / 2 Lausschrift (Schriftdesign Johannes Lang) / 3 Ecover Oceanbottle / 4 Spinnaker, betonlose Fundamente (Foto: Elisabeth Kopf) / 5 WEI SRAUM
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