Unter den künstlerischen Zeugnissen, die der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn um 1920 aus den Archiven verschiedener europäischer Irrenanstalten zusammengetragen hat, finden sich auch zahlreiche selbst produzierte Bücher, Hefte und aufwändig gestaltete Text-Bild-Kompendien. Gegen alle Wahrscheinlichkeit und unter schwierigsten sozialen, psychischen und materiellen Bedingungen behaupteten manche AnstaltsinsassInnen ihre Autorschaft, indem sie eigenwillige kommunikative Strategien und radikal neue ästhetische Handschriften entwickelten.
Zeitungen, Abfälle, Text- und Bildmaterialien unterschiedlichster Herkunft wurden ausgeweidet und neu formatiert, zusammengenäht und -geklebt, beschriftet und illustriert. Dabei beeindrucken vor allem die vielgestaltigen Symbiosen und Übergänge zwischen bildnerischen Verfahren, Handschriften und typographischen Versatzstücken. Die sauber abgegrenzten Terrains der Schrift- und Buchkultur des bürgerlichen Zeitalters wurden so nachhaltig ver-rückt und reformatiert, und manche ästhetischen Impulse und Experimente neuerer Medien und Kunstformen finden sich hier vorweggenommen. ¶ Der Vortrag präsentiert Objekte aus dem Fundus der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg und fragt nach deren künstlerischen und kommunikativen Implikationen.
Gisela Steinlechner, Studium der Germanistik und Vergleichenden Literaturwissenschaften in Innsbruck und Wien, Dissertation über den in der psychiatrischen Anstalt in Gugging lebenden Autor Ernst Herbeck; Freiberuflich als Lehrbeauftragte, Kuratorin, Literatur und Kulturwissenschaftlerin tätig; Publikationen u. a. zu Literatur der Moderne, Arbeiten aus der Sammlung Prinzhorn, Kultur des Gartens.