Wie reale Utopien im Kleinen eine Transformation im Großen beflügeln

... und was DesignerInnen dafür in Zukunft können sollten. Ein Gespräch mit Kris Krois, Leiter des Masterlehrgangs Eco-Social Design an der Universität Bozen.

Kris Krois leitet das Masterstudium Eco-Social Design, das die Universität Bozen an der Fakultät für Design und Künste seit 2015 anbietet. Es stellt gestalterische Arbeit radikal in den Kontext aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen und hinterfragt, welche Rolle Designer und Designerinnen in Zukunft spielen können und sollen. Denn: radikale Veränderungen werden ohnehin stattfinden, entweder „By Design or by Disaster“ – so heißt auch die Konferen, die im April zum siebten Mal in Bozen stattfindet.

Das Interview aus unserem aktuellen Programmheft hier zum Nachlesen:


An immer mehr Hochschulen gibt es neue Studiengänge, die den Designbegriff neu definieren. Haben sich die Anforderungen an DesignerInnen radikal verändert? 

Wir alle merken, dass ein gesellschaftlicher Wandel notwendig ist und suchen nach Wegen, den Anforderungen einer sozial-ökologischen Transformation gerecht zu werden. Jede Disziplin versucht, für sich eine Rolle in diesem notwendigen Wandel zu finden – so auch DesignerInnen. Daraus sind Studiengänge entstanden, die sich etwa Transformation Design, Transition Design, Design for Social Innovation oder Social Design nennen. Wir haben unseren Studiengang bewusst Ecosocial Design genannt, weil wir überzeugt sind, dass die beiden Aspekte „öko“ und „sozial“ nur gemeinsam zu denken sind. Die Dringlichkeit wird durch die Umweltkrisen – Klimawandel, Artensterben, der Verlust von Bodenfruchtbarkeit etc. – deutlich. Doch all diese sehr bedrohlichen Angelegenheiten entstehen durch unsere Lebensstile und Wirtschafts-weisen. Daher braucht es nun einen Wandel in selbiger, also einen gesellschaftlichen Wandel, um den ökologischen Krisen beizukommen – und nicht nur diesen.

 

 

Das heißt aber nicht, dass DesignerInnen nun die besseren SoziologInnen, PolitikerInnen, oder WirtschaftswissenschafterInnen sein sollen?

Wir sind natürlich nicht so größenwahnsinnig zu sagen „design can save the world“, das ist Blödsinn. Aber Design kann zum positiven Wandel beitragen. Es geht nur über Zusammenarbeit! Denn UmweltwissenschafterInnen oder KlimaforscherInnen allein können den Klimawandel am allerwenigsten mäßigen. Sie können Prognosen machen und Parameter feststellen, aber Alternativen zu entwerfen und auf eine positive Vision hinzuarbeiten, das ist Aufgabe gesellschaftlicher Gestaltung und damit unter anderem auch Aufgabe von DesignerInnen. Wir legen unseren Master transdisziplinär an. Das zeigt sich einerseits in Studienfächern wie Soziologie, politischer Ökologie oder kritischen Wirtschaftswissenschaften – hier allerdings mit Fokus auf Alternativen wie etwa Gemeinwohlökonomie oder Fragen nach vorsorgendem und reproduktivem Wirtschaften. Noch stärker zeigt es sich aber in den Projekten die die Studierenden mit externen Partnern zusammen entwickeln. Da geht es darum, mit den realen Herausforde-rungen zu arbeiten, mit all deren Widrigkeiten und Potenzialen. Das ist Lernen. Das unter-scheidet uns von Ansätzen des Speculative Design oder Critical Design, die durchaus interessante Diskurse in einem Objekt verkör-perlichen, das dann in einem Museum dem Kultur- und Kunstpublikum gezeigt wird. Das mag berechtigt und interessant sein, hat aber, glaube ich, wenig bis gar keine Wirkung in Hinblick auf gesellschaftlichen Wandel, weil es in dieser Blase bleibt, von der kaum große Veränderung zu erwarten ist.

Mit eurem Studiengang stellt ihr Fragen an die Zukunft, die sich viele von uns zur Zeit stellen. Wie kann man die positive Dynamik die derzeit spürbar ist verstärken und das Gefühl von Ohnmacht bannen?

Das ist eine Frage die sich kaum in Kürze beantworten lässt. Ich möchte aber zwei Aspekte hervorheben: radikale neue Gesellschaftsmodelle werden aus meiner Sicht meist in kleinen Nischen erprobt. Lokale Initiativen des gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Wirtschaftens und Zusammenlebens, des Bauens oder Produzierens sind wie Versuchslabore, die irgendwann Einfluss auf größere Systeme haben. Die großen Unternehmen und Institutionen sind wie Dampfer mit einer starke Pfadab-hängigkeit, wo jede kleine Richtungsän-derung sehr aufwändig ist. Kleine Systeme sind viel beweglicher und oft sind es dann AkteurInnen aus diesen Nischenprojekten – nicht selten DesignerInnen – die ihr Wissen in großen Strukturen einbringen und dort Impulse setzen. Dann hat das unscheinbare Nachbarschaftsprojekt plötzlich eine große Veränderung in Gang gebracht. Es sind also die kleinskalierten realen Utopien auf denen andere aufbauen und die insgesamt eine größere Transformation bewirken. Harald Welzer nennt das „modulare Revolutionen“. Wichtig wäre jetzt, diesen Prozess strategisch zu beschleunigen, damit er nicht 200 Jahre sondern nur 15 oder 30 Jahre dauert. Und dann eine zweite wichtige Strategie: Dinge öffentlich machen und protes- tieren. Dass die Klimabewegung ein  solches Momentum erzeugt hat, ist ja der Hauptgrund, weshalb jetzt auf vielen Ebenen diskutiert wird – in Familien und Freudes-kreisen ebenso wie in Unternehmen und Politik. Es ist wichtiger, dass die Leute auf die Straße gehen als in den Bioladen, denn unter den bestehenden Umständen ist der Bioladen nur einer privilegierten Schicht zugänglich. Es braucht politische Entscheidungen, die Anreize, Regeln und Infrastukturen schaffen, die dazu führen, dass das Richtige auch das Leichtere und Günstigere wird. Es muss eine Steuer- und Förderpolitik geben, die zum Beispiel das Zugfahren in jeder Hinsicht attraktiver macht als das Fliegen, dann würde sich das Verhalten ganz schnell ändern. Deshalb ist das Einfordern richtiger Entscheidungen auf politischer Ebene wichtiger als der Appell an das richtige Konsumverhalten. Natürlich versuche ich als privilegierter Mensch auch das, aber es ist keine erfolgversprechende Transformationsstrategie.  

 

Holy Shit: Abschlussarbeit von Johanna PerretHoly Shit: Abschlussarbeit von Johanna Perret

 

Denkst du, dass sich auch in der breiten Gesellschaft das Verständnis von Design heute erweitert hat?

Wir sollten das nicht überschätzen, aber es tut sich langsam etwas. In der Wirtschaft sind Schlagworte wie Transformation Design oder Design Thinking angekommen – eher als Managementmethoden, aber trotzdem rückt der Begriff Design in andere Kontexte, was gut ist. Auch Harald Welzers Buch Transformationsdesign ist sehr bekannt geworden. Er meint zwar vielmehr die Gestaltung gesellschaftlichen Wandels als Design im engeren Sinne, aber auch hier: Design taucht in neuen Zusammenhängen auf. Noch immer muss ich aber bei Vorträgen außerhalb der „Blase“ erklären, dass es jetzt nicht um schicke Sonnenbrillen geht und auch nicht nur um “grünere” Produkte.

Welche konkrete Rolle können gestalterisch agierende Menschen – zum Beispiel eure AbsolventInnen – in ihren zukünftigen Arbeitsbereichen einnehmen?

Manche übernehmen immer noch klassische Aufgaben des Designs, aber meist fügt sich dem eine strategische Komponente hinzu. Eco-Social DesignerInnen involviert sich stärker in Fragestellungen, Zielsetzungen und Strategien und versucht die Prozesse zu gestalten. Andere arbeiten im Bereich der Nachbarschafts- und Gemeinschafts-entwicklung, also dort wo Community Development zusammen mit der Gestaltung von Produkten, Räumen oder Prozessen gedacht wird. Immer öfter sitzen Desig-nerInnen heute auch in Unternehmen an Positionen wie „Strategy and Design“. Diese strategische Position, die früher meist mit WirtschaftlernInnen besetzt war, nehmen jetzt also GestalterInnen ein, weil sie gesellschaftlich breiter denken und viel davon verstehen co-kreative Prozesse zu fazilitieren. Das ist schon ein Zeichen, denke ich. Auch das Thema Circular Design ist in Unternehmen angekommen und wird von DesignerInnen betreut. Im wesentlichen stehen unsere AbgängerInnen vor der Heraus-forderung, sich ihren Tätigkeitsbereich selbst zu (er-)finden, was nicht ganz einfach ist. Insgesamt müssen die erweiterten Kompetenzen von GestalterInnen noch deutlicher sichtbar und anerkannt werden.

Die strategische Vernetzung dieser neuen Berufsbilder und Projekte von GestalterInnen ist auch Thema der diesjährigen Konferenz „By Design or By Disaster“ im April in Bozen?

Genau! Wir setzen den Fokus der Vorträge, Workshops und Gespräche jeweils auf ein Thema wo wir ein Defizit sehen. Heuer ist das „Cross Cutting Strategies“, denn wir wollen den großen Wandel unbedingt auch strategisch erarbeiten. Alternative Design-praktiken bringen tolle Projekte auf kleiner Skala hervor, die in den lokalen Gegeben-heiten extrem wirkungsvoll sind, weil sie die vor Ort vorhandenen Fähigkeiten und Bedürftnisse einbeziehen. Damit sie Teil eines größeren Wandels werden, brauchen wir aber eine strategische Dimension dazu. Dem entspricht auch die internationale Vernetzung transformationsorientierter Studiengänge, ForscherInnen und PraktikerInnen. Die treiben wir gerade auf europäischer Ebene voran, u. a. um gemeinsam die neuen Rollen von DesignerInnen zu einem greifbaren und allgemein anerkannten Berufsbild zu machen. Jedes Jahr rufe ich auch den Titel der Konferenz in Erinnerung, der ja sagt: eine Veränderung wird auf jeden Fall stattfinden. Entweder „by disaster“, wenn wir nichts tun und katastrophale Entwicklungen die Anzahl an Menschen und unsere Produktivität so extrem reduzieren, dass das auch eine Art von Nachhaltigkeit erzeugt. Also ein unvorstellbar brutaler Weg, unter dem weniger Privilegierte bereits heute leiden. Oder die Transformation geschieht „by design“, also durch koordinierte Gestaltung. Und die ist uns wohl allen lieber.

Die Konferenz „By Design or By Disaster“ findet vom 2.–5. April in Bozen statt. Sie lädt  Menschen aus Gestaltung,  Wissenschaft, Wirtschaft,  Kunst und Politik zum Dialog über kreative Praktiken für eine   öko soziale Transformation. designdisaster.unibz.it

 

Arbeiten von Studierenden des Masterlehrgangs Eco-Social Design
Arbeiten von Studierenden des Masterlehrgangs Eco-Social Design

 

 

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